Lernen begleitet uns ein Leben lang, sei es in der Schule, im Beruf oder im Alltag. Doch trotz seiner zentralen Rolle in unserem Leben kursieren viele Mythen darüber, wie wir am besten lernen. Einige dieser Mythen können uns behindern, andere führen dazu, dass wir uns auf ineffektive Methoden verlassen. Zeit, mit den größten Missverständnissen aufzuräumen! In diesem Beitrag untersuchen wir zehn verbreitete Lernmythen und stellen klar, was die Wissenschaft dazu sagt.
Mythos 1: Menschen haben unterschiedliche Lerntypen
Die Idee, dass Menschen visuelle, auditive oder kinästhetische Lerntypen sind, ist weit verbreitet. Doch zahlreiche Studien zeigen: Es gibt keine Belege dafür, dass das Anpassen des Lernmaterials an einen bestimmten „Typ“ das Lernen verbessert. Stattdessen lernen wir alle am besten, wenn der Stoff klar und sinnvoll aufbereitet ist und aktiv verarbeitet wird. Was zählt, ist die Kombination aus Motivation, Kontext und aktiver Auseinandersetzung.
Studie: Pashler et al. (2009): Learning Styles: Concepts and Evidence.
Was stattdessen funktioniert:
Anstatt sich auf den „Lerntyp“ zu verlassen, nutzen Sie Methoden wie Mind Maps, Diskussionsrunden oder praktisches Ausprobieren, um Informationen auf verschiedene Arten zu verarbeiten. Vielfalt ist der Schlüssel.
Mythos 2: Multitasking steigert die Effizienz
Multitasking wird oft als erstrebenswerte Fähigkeit dargestellt. Viele glauben, sie könnten gleichzeitig lernen, E-Mails beantworten und Musik hören. Doch die Hirnforschung zeigt: Multitasking überlastet unser Arbeitsgedächtnis und verringert die Qualität des Lernens. Statt tatsächlich parallel zu arbeiten, springen wir nur schnell zwischen Aufgaben hin und her, was Konzentration und Leistung beeinträchtigt.
Studie: Ophir et al. (2009): Cognitive Control in Media Multitaskers.
Was stattdessen funktioniert:
Fokussieren Sie sich auf eine Aufgabe zur Zeit. Nutzen Sie Methoden wie die Pomodoro-Technik, bei der Sie konzentriert arbeiten und regelmäßige Pausen einlegen.
Mythos 3: Vor dem Schlafengehen lernt es sich am besten
Der Glaube, dass das Lernen kurz vor dem Schlafengehen besonders effektiv sei, ist weit verbreitet. Zwar stimmt es, dass Schlaf eine wichtige Rolle bei der Gedächtniskonsolidierung spielt, aber der ideale Zeitpunkt zum Lernen variiert von Person zu Person. Einige lernen morgens besser, andere abends.
Studie: Diekelmann et al. (2010): Sleep’s role in the processing of memories.
Was stattdessen funktioniert:
Experimentieren Sie mit unterschiedlichen Lernzeiten und finden Sie heraus, wann Sie sich am besten konzentrieren können. Wichtig ist, dass Sie nach dem Lernen ausreichend schlafen, da der Schlaf die Verarbeitung und Speicherung von Informationen fördert.
Mythos 4: Mozart macht schlau
Die Idee des „Mozart-Effekts“ besagt, dass das Hören von klassischer Musik die Intelligenz steigert. Ursprünglich ging es in der Studie um eine kurzzeitige Verbesserung räumlicher Fähigkeiten, doch spätere Untersuchungen konnten diesen Effekt nicht reproduzieren. Musik kann uns entspannen und motivieren, macht uns aber nicht intelligenter.
Studie: Chabris (1999): Prelude or requiem for the ‘Mozart effect’?
Was stattdessen funktioniert:
Nutzen Sie Musik, die Sie entspannt oder in eine produktive Stimmung versetzt, um Ihre Konzentration zu steigern. Für manche ist das Mozart, für andere sind es Lo-Fi-Beats.
Mythos 5: Nach 10.000 Stunden beherrschen wir alles
Die „10.000-Stunden-Regel“, popularisiert durch Malcolm Gladwell, besagt, dass man durch 10.000 Stunden Übung in einem Bereich zur Meisterschaft gelangen kann. Doch Qualität schlägt Quantität: Zielgerichtetes Üben („deliberate practice“) ist entscheidend, nicht die bloße Dauer.
Studien: Ericsson et al. (1993): The Role of Deliberate Practice in the Acquisition of Expert Performance.
Macnamara et al. (2014): Deliberate practice and performance in music, games, sports, education, and professions.
Was stattdessen funktioniert:
Setzen Sie auf bewusstes, gezieltes Üben: Konzentrieren Sie sich auf spezifische Bereiche, in denen Sie sich verbessern möchten, und suchen Sie sich Feedback von Expert:innen.
Mythos 6: Fehler sind ein Zeichen von Schwäche
In der Schule wurden Fehler oft als Versagen wahrgenommen. Tatsächlich sind Fehler unverzichtbar für den Lernprozess: Sie zeigen uns, wo wir stehen, und ermöglichen es, neue Strategien zu entwickeln.
Studie: Van der Linden et al. (2017): Learning from errors: A meta-analysis of the effectiveness of error management training.
Was stattdessen funktioniert:
Sehen Sie Fehler als Wachstumschance. Reflektieren Sie, was schiefgelaufen ist, und passen Sie Ihre Herangehensweise an. Nutzen Sie Methoden wie die Fehleranalyse, um aus jedem Fehler zu lernen.
Mythos 7: Wir nutzen nur 10 % unseres Gehirns
Dieser Mythos ist ein Klassiker der Popkultur, aber falsch. Neurowissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass praktisch alle Teile des Gehirns aktiv sind, selbst bei einfachen Aufgaben.
Studie: Radin et al. (2005) (allgemeine Forschungsübersichten zur Neuroaktivität belegen ebenfalls diese Aussage).
Was stattdessen funktioniert:
Konzentrieren Sie sich darauf, Ihre kognitiven Fähigkeiten zu stärken, etwa durch das Lernen einer neuen Sprache oder das Lösen von Rätseln.
Mythos 8: Kinder lernen besser als Erwachsene
Zwar haben Kinder Vorteile beim Spracherwerb, doch Erwachsene profitieren von ihrer Lebenserfahrung und können neues Wissen leichter mit vorhandenem verknüpfen.
Studie: Hartshorne et al. (2018): Critical periods in language acquisition: Evidence from second-language learning.
Was stattdessen funktioniert:
Setzen Sie auf lebenslanges Lernen. Wählen Sie Themen, die Sie wirklich interessieren, und nutzen Sie Ihre vorhandenen Fähigkeiten, um neue zu entwickeln.
Mythos 9: Lange Lerneinheiten sind effektiver
Viele Menschen denken, stundenlanges Pauken sei besonders erfolgreich. Doch Studien zeigen, dass kurze, über mehrere Tage verteilte Lerneinheiten (Spaced Repetition) effektiver sind.
Studie: Cepeda et al. (2006): Distributed practice in verbal recall tasks: A review and quantitative synthesis.
Was stattdessen funktioniert:
Planen Sie kurze, regelmäßige Lerneinheiten und bauen Sie Wiederholungen ein. Apps wie Anki oder Quizlet können dabei helfen.
Mythos 10: Intelligenz ist angeboren
Die Vorstellung, dass Intelligenz statisch sei, ist überholt. Die Gehirnforschung zeigt, dass sich das Gehirn laufend verändert (Neuroplastizität). Zudem steigert ein „Growth Mindset“ – der Glaube daran, dass Intelligenz und Fähigkeiten entwickelt werden können – nachweislich die Lernleistung.
Studien: Draganski et al. (2004): Neuroplasticity: Changes in grey matter induced by training.
Dweck (2006): Mindset: The New Psychology of Success.
Fazit: Weg mit den Mythen, hin zu besserem Lernen
Die Wissenschaft zeigt klar: Viele Lernmythen halten sich hartnäckig, obwohl sie längst widerlegt sind. Indem wir diese falschen Vorstellungen hinter uns lassen und uns auf fundierte Methoden konzentrieren, können wir unser Potenzial voll entfalten. Lernen Sie gezielt, fehlerfreundlich und in kleinen, strukturierten Einheiten – Ihr Gehirn wird es Ihnen danken!
Welche Lernmythen haben Sie bisher geglaubt? Und wie hat sich Ihr Lernverhalten verändert?