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Das Abilene-Paradox: Warum Teams manchmal gemeinsam falsche Entscheidungen treffen

Kennen Sie das Gefühl? In einem Meeting herrscht Einigkeit. Alle nicken, alle stimmen zu. Nach außen wirkt es, als wäre alles klar. Doch später zeigt sich: Niemand war wirklich überzeugt. Jede und jeder dachte nur, die anderen wollten es so.

Dieses Phänomen nennt der amerikanische Managementprofessor Jerry B. Harvey das Abilene-Paradox. Es beschreibt eine erstaunlich häufige Dynamik in Gruppen, in der Menschen aus Angst vor Konflikten oder Ablehnung Entscheidungen mittragen, die sie eigentlich ablehnen.

Eine Fahrt, die niemand wollte

Die Geschichte, die Harvey zu seiner Entdeckung inspirierte, spielte sich in Texas ab. An einem heißen Sommertag sitzt er mit seiner Frau und den Schwiegereltern auf der Veranda, während die Sonne brennt und der Staub über die Straße weht. Plötzlich schlägt der Schwiegervater vor, nach Abilene zu fahren, um dort zu essen. Das sind rund 85 Kilometer, in einem Auto ohne funktionierende Klimaanlage. Harvey hält die Idee für absurd, möchte aber keinen Widerspruch einlegen. Seine Frau stimmt zu, weil sie denkt, die anderen hätten Lust auf einen Ausflug. Die Schwiegermutter schließt sich an, weil sie niemanden enttäuschen will. Also fahren alle gemeinsam los.

Vier Stunden später kehrt die Familie müde und gereizt zurück. Schließlich bricht einer das Schweigen: „Das war eine ziemliche Tortur.“ Nach und nach gestehen alle, dass sie lieber zu Hause geblieben wären. Niemand wollte nach Abilene fahren. Jede und jeder glaubte nur, die anderen wollten es.

Was das mit Unternehmen zu tun hat

Harvey erkannte darin mehr als nur eine harmlose Anekdote. Er sah ein Muster, das in vielen Organisationen täglich vorkommt.

Teams und Führungskräfte treffen Entscheidungen, hinter denen in Wahrheit kaum jemand steht. Projekte werden weitergeführt, obwohl alle spüren, dass sie scheitern werden. Prozesse werden beibehalten, die längst keinen Sinn mehr ergeben. Meetings finden statt, die niemand mehr braucht. Das Abilene-Paradox beschreibt also nicht den offenen Konflikt, sondern das genaue Gegenteil: das Scheitern an scheinbarer Einigkeit.

Der Mechanismus hinter der falschen Zustimmung

Wie kann es passieren, dass alle gemeinsam etwas tun, das niemand will?

  1. Einzelne Teammitglieder haben Zweifel, äußern sie aber nicht
  2. Sie nehmen an, die anderen seien überzeugt
  3. Um nicht anzuecken, stimmen sie zu
  4. Am Ende entsteht eine Entscheidung, die auf gegenseitigen Fehlannahmen beruht


Das Ergebnis:
Die Gruppe handelt gegen ihre eigene Überzeugung.

Das Abilene-Paradox unterscheidet sich deutlich vom bekannten Groupthink. Beim Groupthink entwickelt die Gruppe tatsächlich eine gemeinsame Meinung und blendet andere Sichtweisen aus. Beim Abilene-Paradox gibt es keine echte gemeinsame Meinung. Alle spielen nur mit, um den Anschein von Harmonie zu wahren.

Angst als versteckter Motor

Harvey kam zu dem Schluss, dass die Ursache in Angst liegt. Menschen fürchten, abgelehnt, kritisiert oder als illoyal wahrgenommen zu werden, wenn sie offen widersprechen. Diese Angst führt dazu, dass sie ihre Meinung verschweigen und lieber zustimmen, obwohl sie innerlich anderer Meinung sind. Sie haben Angst vor den möglichen Konsequenzen, oder genauer gesagt: vor der Vorstellung davon. Denn oft ist diese Vorstellung schlimmer als die Realität. Hätte Harvey auf der Veranda ehrlich gesagt, dass er lieber bleiben möchte, hätten die anderen wahrscheinlich erleichtert reagiert. Doch seine Sorge, undankbar zu wirken, hielt ihn davon ab. So entsteht eine Dynamik, die auf gegenseitigen Annahmen beruht. Jede Person glaubt, den anderen einen Gefallen zu tun, und niemand bemerkt, dass alle dasselbe denken.

Das Paradox erkennen: Diagnosefragen für Teams

Der erste Schritt, um das Abilene-Paradox zu vermeiden, besteht darin, es zu erkennen. Dafür helfen einfache Fragen:

  • Gibt es in unserem Team Themen, über die selten offen gestritten wird?
  • Hören wir in privaten Gesprächen häufiger Sätze wie „Eigentlich müsste man mal…“ oder „Ich dachte, ihr wollt das so“?
  • Wirken Entscheidungen einstimmig, obwohl kaum darüber diskutiert wurde?
  • Gibt es Anzeichen dafür, dass Menschen Angst haben, ihre Meinung zu sagen?
  • Werden kritische Stimmen schnell als negativ oder illoyal wahrgenommen?

Wenn Sie mehrere dieser Fragen mit Ja beantworten, besteht die Gefahr, dass Ihr Team auf dem Weg nach Abilene ist.

Mut zur Konfrontation

Sobald Sie den Verdacht haben, dass eine Entscheidung auf falscher Zustimmung beruht, hilft nur eines: darüber sprechen.

Jerry Harvey empfiehlt, die Situation offen anzusprechen. Ein einfaches Beispiel könnte so klingen: „Ich habe das Gefühl, wir alle stimmen diesem Vorschlag zu, aber vielleicht glaubt niemand von uns wirklich, dass es der richtige Weg ist. Können wir das einmal ehrlich besprechen?“

Diese Form der Konfrontation wirkt oft befreiend. Sie erlaubt es allen Beteiligten, ehrlich zu sagen, was sie denken. In vielen Fällen reagieren Kolleginnen und Kollegen sogar dankbar, dass endlich jemand den Mut hat, das unausgesprochene Unbehagen zu benennen.

Eine Kultur der Offenheit schaffen

Das Abilene-Paradox zeigt, wie gefährlich es ist, wenn Menschen sich nicht trauen, abweichende Meinungen zu äußern. Führungskräfte können dem vorbeugen, indem sie gezielt psychologische Sicherheit schaffen.

Das bedeutet:

  • Kritik und Zweifel ausdrücklich willkommen heißen
  • aktiv nach anderen Perspektiven fragen
  • Mitarbeitende ermutigen, Bedenken früh zu teilen
  • Fehler als Lernchancen betrachten
  • selbst mit gutem Beispiel vorangehen und Unsicherheiten offen benennen


Für Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung gilt: Widerspruch darf respektvoll und konstruktiv geäußert werden. Sätze wie „Darf ich eine kritische Frage stellen?“ oder „Ich sehe das etwas anders, darf ich kurz erklären warum?“ können helfen, den Einstieg zu erleichtern.

Nicht jede Zustimmung ist falsch

Wichtig ist, das Phänomen nicht zu überdehnen. Nicht jede Entscheidung, der man sich anschließt, obwohl man sie nicht ideal findet, ist ein Fall des Abilene-Paradoxons. In Organisationen braucht es Kompromisse und Mehrheitsentscheidungen. Manchmal ist es sinnvoll, einen Weg mitzutragen, auch wenn er nicht die persönliche Wunschlösung ist. Das Paradox liegt nur dann vor, wenn alle Beteiligten insgeheim dagegen sind, aber niemand es ausspricht.

Fazit: Echte Einigkeit statt stiller Anpassung

Das Abilene-Paradox erinnert uns daran, dass echte Zustimmung Mut braucht. Schweigen oder scheinbare Harmonie können gefährlicher sein als ein offener Konflikt. Wer den Mut hat, Zweifel auszusprechen, verhindert nicht nur schlechte Entscheidungen, sondern stärkt auch das Vertrauen im Team.

In einer Arbeitswelt, in der Geschwindigkeit und Effizienz oft Vorrang haben, ist das bewusste Innehalten und Hinterfragen manchmal der klügste Schritt.

Bevor Sie also das nächste Mal in einem Meeting nicken, obwohl Sie innerlich zögern, stellen Sie sich eine einfache Frage: Will ich wirklich nach Abilene fahren?

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