Das Prinzip der “verlogenen Transparenz” im Arbeitsleben: Ein kritischer Blick auf Machtspiele und Manipulation in Unternehmen
In der modernen Arbeitswelt hört man immer wieder von Begriffen wie Transparenz, flachen Hierarchien, und New Work. All diese Konzepte klingen zunächst vielversprechend und suggerieren eine bessere, offener gestaltete Arbeitsatmosphäre. Doch was, wenn diese Prinzipien in der Praxis weniger dem Wohlergehen der Mitarbeitenden als vielmehr der Sicherung und Erweiterung von Kontrolle und Macht dienen? In diesem Beitrag möchten wir genauer hinsehen und uns mit dem Phänomen der „verlogenen Transparenz“ auseinandersetzen. Denn oft verbirgt sich hinter der Fassade vermeintlicher Offenheit eine subtile Manipulation, die vor allem eines bezweckt: Die Mitarbeitenden in die gewünschte Richtung zu lenken, ohne dass sie es bemerken.
Transparenz – Das Schlagwort mit zwei Gesichtern
„Wir schaffen Transparenz!“ ist eine häufig gehörte Phrase in Unternehmen. Sie suggeriert, dass Mitarbeitende umfassend informiert werden und auf diese Weise an Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Doch die Realität sieht oft anders aus. Transparenz wird als Werkzeug eingesetzt, um Kontrolle und Machtstrukturen zu verschleiern. Die scheinbare Offenheit und Zugänglichkeit von Informationen und Entscheidungsprozessen gibt Mitarbeitenden das Gefühl, mitbestimmen zu können, während hinter den Kulissen längst alles entschieden ist. Das ist die erste Lektion in der „verlogenen Transparenz“: Man vermittelt die Illusion von Beteiligung, wo eigentlich keine existiert.
Flache Hierarchien: Ein Mythos?
Flache Hierarchien werden als das neue Ideal angepriesen. Die Idee ist, dass Entscheidungen gemeinsam im Team getroffen werden und sich niemand als „Boss“ aufspielt. Tatsächlich jedoch führt dieses Modell häufig dazu, dass klare Verantwortlichkeiten verwischt werden. Wer entscheidet eigentlich wirklich, und wer trägt die Verantwortung? Flache Hierarchien verleihen oft eine gewisse Unklarheit über Zuständigkeiten, was letztlich dazu führt, dass die eigentliche Entscheidungsgewalt doch wieder in den Händen der Führung bleibt, nur subtiler und weniger greifbar.
Die Philosophie hinter dieser vermeintlichen Hierarchiefreiheit ist häufig mehr Schein als Sein. Während Mitarbeitende glauben, gemeinsam Entscheidungen zu treffen, wird in Wirklichkeit im Hintergrund alles bereits durch die Führungsebene festgelegt. Dieses Prinzip der Verwischung von Verantwortung schafft ein Umfeld, in dem es schwierig ist, festzustellen, wer für was zuständig ist. Fehler und Schwierigkeiten lassen sich dadurch leicht auf das Team als Ganzes abwälzen.
Manipulation durch “Learning” und “Change-Kurse”
Die Förderung der Mitarbeitenden durch verschiedene Lern- und Change-Kurse wird ebenfalls oft mit großem Nachdruck propagiert. In diesen Kursen sollen Mitarbeitende „fit für die Zukunft“ gemacht und ihre Anpassungsfähigkeit gestärkt werden. Doch was wird hier tatsächlich gefördert? Häufig wird nicht das Potenzial der Mitarbeitenden gefördert, sondern deren Fähigkeit, sich dem Unternehmen und dessen Veränderungsprozessen anzupassen. Ziel dieser Lernangebote ist es weniger, individuelle Stärken auszubauen, sondern vielmehr, Mitarbeitende in eine bestimmte Richtung zu lenken – und dabei sicherzustellen, dass sie die Veränderungen nicht hinterfragen, sondern als Teil des unvermeidbaren Fortschritts akzeptieren.
Ein weiteres Schlagwort hierbei ist Adaptivität. Der Wandel wird als notwendig und positiv dargestellt, und die Kursinhalte werden so ausgewählt, dass sie die Mitarbeitenden darauf vorbereiten, die Unternehmensstrategie kritiklos mitzutragen. Dieser „Change“ ist dabei selten ein gemeinsamer Prozess, sondern eine von oben verordnete Maßnahme, die lediglich in einem Gewand der Offenheit und Beteiligung präsentiert wird.
Die Rhetorik von Purpose und New Work
In diesem Zusammenhang spielt auch die Sprache eine große Rolle. Konzepte wie Purpose und New Work klingen verheißungsvoll, fast schon inspirierend. Mitarbeitende sollen sich als Teil eines großen Ganzen fühlen, eines Unternehmens mit klarer Mission, das nicht nur Profit verfolgt, sondern eine Purpose-orientierte Arbeit anbietet. Doch oft handelt es sich um wenig mehr als einen Marketingtrick. Der Purpose wird als Werkzeug eingesetzt, um Mitarbeitende zu motivieren und von der eigentlichen Unternehmensstrategie abzulenken. Hinter den schönen Worten stehen meist knallharte wirtschaftliche Interessen, die die Mitarbeitenden subtil dazu bringen sollen, sich immer mehr mit dem Unternehmen zu identifizieren und in dessen Sinne zu handeln.
Dieses Bullshit-Sprech, wie es auch genannt wird, dient in erster Linie der Machtsicherung und -ausweitung. Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt beschreibt das Phänomen des Bullshits treffend als gehobenes Gebaren in Wort und Tat, das einer Lüge ähnelt. Es geht dabei nicht um die Wahrheit, sondern um den Eindruck, der vermittelt werden soll – und um die Wirkung, die diese auf die Mitarbeitenden hat.
Die Falle der “Selbstwirksamkeit”
Ein weiteres Phänomen der „verlogenen Transparenz“ ist die Betonung der sogenannten Selbstwirksamkeit. Die Mitarbeitenden sollen sich selbst organisieren, ihre Aufgaben eigenverantwortlich bewältigen und das Gefühl haben, dabei Kontrolle über ihre Arbeit zu haben. In der Praxis bedeutet dies jedoch oft nichts anderes, als dass die Verantwortung nach unten delegiert wird, während die eigentliche Entscheidungsfreiheit nur marginal ist. Die Selbstorganisation wird dabei zum Werkzeug, um Aufgaben und Pflichten auf die Mitarbeitenden abzuwälzen, ohne dass diese eine echte Entscheidungsbefugnis besitzen.
Hier trifft die Philosophie des Philosophen Byung-Chul Han zu, der in seinem Werk „Transparenzgesellschaft“ das Konzept einer vollkommenen Offenheit kritisiert. Han warnt davor, dass eine durchsichtige, gläserne Gesellschaft sämtliche Grenzen abbaut und den Raum des Privaten und Unbekannten einreißt. Übertragen auf die Arbeitswelt bedeutet dies, dass der Mensch als Wesen ohne Geheimnisse betrachtet wird – jeder Gedanke, jede Handlung soll offen und nachvollziehbar sein. Ein Verlust an Individualität und Menschlichkeit ist die Folge.
Die Methode der Gruppen-Dynamik
Ein bewährtes Mittel, um Macht zu verschleiern und dennoch die Kontrolle zu behalten, ist das Arbeiten in Gruppen. In Meetings und Workshops wird Wert auf Teamarbeit gelegt, oft verbunden mit spielerischen Elementen und Gruppenspielen. Dabei handelt es sich jedoch meist um ein gezieltes Werkzeug, um eine Gruppe gleichzuschalten und den Konsens auf die gewünschten Ziele der Führungsebene auszurichten. Der „offene Stuhlkreis“, das freundliche Bällebad, der Obstkorb – all das sind Symbole einer vermeintlich offenen Unternehmenskultur, die in Wirklichkeit lediglich darauf abzielt, Mitarbeitende zu manipulieren und gleichzeitig eine angenehme Fassade aufrechtzuerhalten.
Die Täuschung durch “verlogene Transparenz”
Das Prinzip der „verlogenen Transparenz“’ ist also ein perfides Machtspiel, das subtil und geschickt ausgeführt wird. Es lässt die Mitarbeitenden glauben, sie seien Teil einer offenen und vertrauensvollen Unternehmenskultur, während sie tatsächlich zunehmend in ein Netz aus Kontrolle und Abhängigkeit verwoben werden. Die Grenze zwischen echter Offenheit und einer manipulativen Transparenz verschwimmt, und es wird schwierig, die wahre Intention hinter den Handlungen des Unternehmens zu erkennen. Oft ist es genau diese Unsichtbarkeit, die die Machtstrukturen stärkt.
Achtsamkeit und kritisches Hinterfragen
Was können Sie als Mitarbeitender tun, um sich nicht in diesem Netz der „verlogenen Transparenz“ zu verfangen? Der erste Schritt ist das Bewusstsein für diese Mechanismen. Hinterfragen Sie die vermeintlichen Freiheiten und die angebotenen „Möglichkeiten zur Mitbestimmung“ kritisch. Nehmen Sie nicht alles, was unter dem Deckmantel der Transparenz verkauft wird, als gegeben hin. Schauen Sie genau hin, wenn Entscheidungen getroffen werden, und fragen Sie sich, wer wirklich dahintersteht. Überprüfen Sie, ob die Verantwortung tatsächlich im Team liegt oder ob diese nur delegiert wurde, um mögliche Fehler zu verschleiern.
Vermeiden Sie auch, sich von Begriffen wie Empowerment und Purpose blenden zu lassen, wenn diese Ihnen als Rechtfertigung für Change-Prozesse und neue Managementstrategien vorgehalten werden. Diese Begriffe dienen häufig weniger der Förderung Ihrer Persönlichkeit und Karriere als vielmehr der Stärkung der Machtstrukturen. Bleiben Sie sich selbst und Ihren eigenen Zielen treu und lassen Sie sich nicht in eine vorgegebene Rolle drängen.
Am Ende geht es darum, sich nicht von schönen Worten und vermeintlichen Freiheiten blenden zu lassen, sondern die Realität hinter den Kulissen zu erkennen. Denn nur wer die Mechanismen der Macht durchschaut, kann sich in der modernen Arbeitswelt behaupten und selbstbestimmt handeln.