„Azubis wollen heute nichts mehr von Hierarchie und Führungsstruktur wissen. Sie haben keinerlei Respekt vor Autorität.“ Diese Aussagen hören wir recht häufig von Ausbilder:innen und Führungskräften unserer Partnerunternehmen. Enthalten sie einen wahren Kern? Vielleicht kommen heutige Azubis wirklich nicht mehr mit Autorität zurecht? Und wenn ja, wie können Ausbilder:innen damit umgehen?
Firmen fragen, das BNW antwortet
Die gute Nachricht: Die viel beschworene Mär von Azubis, die sich nur selbst verwirklichen wollen, mehr auf Freizeit als auf Arbeit aus sind und mit Hierarchien nichts anfangen können, ist genau das: eine Mär. Studien und Umfragen zeigen, dass auch heutige Azubis an einem sicheren Gehalt und anspruchsvollen Aufgaben interessiert sind.
Die nicht ganz so gute Nachricht: Es hat sich etwas verändert in den letzten Jahren. Sicher haben manche Azubis grundlegende Schwierigkeiten mit Autorität, doch solche Auszubildenden gab es immer schon. Neu ist jedoch, dass Anweisungen und Aufgaben stärker hinterfragt werden.
Azubis und junge Mitarbeitende wollen heute nicht mehr nur gesagt bekommen, was sie zu tun haben – sie wollen auch das Warum dahinter und ihren Beitrag zur Arbeit des gesamten Unternehmens verstehen.
Die Erwartungen sind nüchtern betrachtet also durchaus realistisch und gar nicht so abwegig, wie sie manchmal in zugespitzten Erzählungen klingen können.
Die Psychologie der Autorität
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die psychologische Dimension von Autorität. Früher wurde Autorität oft mit Macht und Hierarchie gleichgesetzt. Heute hingegen zeigt sich, dass diese Form der Autorität bei vielen Azubis nicht mehr den gewünschten Respekt erzeugt. Stattdessen wird Autorität als eine Mischung aus Kompetenz, Respekt und Authentizität wahrgenommen.
Psychologische Studien belegen, dass Menschen eher bereit sind, einer Führungsperson zu folgen, wenn sie diese als fachlich versiert, fair und empathisch erleben. Besonders jüngere Generationen reagieren positiver auf Führungspersönlichkeiten, die Vertrauen und Wertschätzung vermitteln, anstatt sich allein auf ihre Position in der Hierarchie zu berufen.
Für Ausbilder:innen bedeutet das, dass sie ihre Rolle weniger als „Autoritätsperson“, sondern vielmehr als „Expert:in und Begleiter:in“ verstehen sollten. Wer Wissen glaubwürdig vermittelt und sich dabei authentisch zeigt, gewinnt leichter das Vertrauen der Azubis. Das hat auch einen positiven Effekt auf die Motivation und die Bereitschaft, Anweisungen zu folgen.
- Beispiel: Ein:e Ausbilder:in, der oder die eine Aufgabe nicht nur erklärt, sondern auch zeigt, wie die eigene Expertise dabei hilft, ein Problem zu lösen, wird von Azubis häufig als inspirierend wahrgenommen. Solche Momente stärken die Bindung und fördern Respekt.
Wie Ausbilder:innen reagieren können
So manche:r Ausbilder:in wünscht sich möglicherweise, Azubis würden weniger hinterfragen. Das ist verständlich – vor allem dann, wenn im gleichen Jahrgang Azubis mit Autoritäts- oder Verständnisschwierigkeiten dabei sind und der Unterschied zu den anderen die Schwierigkeit allzu offensichtlich werden lässt. Die Anforderungen an Ausbilder:innen wachsen dann beträchtlich.
Dennoch sollten Fragen kein Grund zum Verzweifeln sein. Die meisten Azubis sind bereits zufrieden, wenn drei Grundsätze umgesetzt werden:
- Hintergrundinformationen und Gründe für Aufgaben und Anweisungen werden kommuniziert. Es reicht oft sogar schon, wenn interessierte Azubis die Möglichkeit bekommen, etwas dazu nachzulesen.
- Fragen werden ernst genommen und beantwortet. Auch der Hinweis darauf, dass das Thema später kommuniziert wird, kann reichen – wenn es dann auch wirklich behandelt wird.
- Autorität speist sich nicht nur aus einer hierarchischen Position, sondern auch aus Erfahrung und Fachwissen. Wenn Ausbilder:innen in der Ausbildung zeigen, dass sie kompetent sind, sind viele Azubis aufmerksam dabei.
Fazit
Diese teilweise neuen Anforderungen können für manche Betriebe eine Veränderung des Umgangs mit Azubis bedeuten. In der Praxis sind die notwendigen Anpassungen jedoch überschaubar und gar nicht so aufwändig. Außerdem bieten sie die Chance, langfristig bessere Beziehungen zu den Mitarbeitenden aufzubauen. Wegen autoritätsaversen Azubis muss also kein:e Ausbilder:in graue Haare bekommen – im Gegenteil: Mit dem richtigen Ansatz lassen sich Missverständnisse vermeiden und die Ausbildung auf eine neue, vertrauensvolle Ebene heben.