Didaktik und Technologie neu gedacht
Die Digitalisierung hat die Aus- und Weiterbildung längst erreicht. Sie verändert die Arbeitswelt und damit auch die Anforderungen an Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Um diesen besonderen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es passgenauer, individualisierter Angebote. Die Digitalisierung durch mobile und tragbare Informationssysteme bietet in diesem Zusammenhang neue Chancen und ermöglicht eine bis dato nicht erreichte Form des Zugangs zu Lerninhalten.
Zwei Herausforderungen spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle: Aufgrund des demographischen Wandels muss die berufliche Weiterbildung kontinuierlich gestaltet werden. Zum einen wird die Rekrutierung hochqualifizierter Fach- und Führungskräfte durch demographische Veränderungen schwieriger. Zum anderen birgt die demographische Entwicklung neue Herausforderungen, da die Mitarbeiter vom Schulabgang bis zum Rentenalter mit dem aktuellen Stand der Technik Schritt halten müssen. Dabei geht es insb. auch um die Überwindung technologischer Hürden.
Auch Produkte und Dienstleistungen wandeln sich. Innovationszyklen werden kürzer, da im Wettbewerb – mit seiner steigenden Dynamik – kontinuierlich neue Produktmodelle entwickelt werden. Insgesamt führt dies dazu, dass immer komplexer werdende Sachverhalte in kürzerer Zeit von Mitarbeitern verstanden werden müssen. Die Weiterbildungsangebote müssen sich diesem Tempo anpassen. Dazu können digitale Medien sinnvoll eingesetzt werden, um die klassische Weiterbildung durch Möglichkeiten der Digitalisierung zu erweitern.
Digitalisierung als Treiber für innovative Lernangebote
Mobile oder tragbare Endgeräte erfahren eine steigende Anwendung in allen Lebensbereichen. Insb. die heranwachsenden Generationen von Fachkräften erleben als Digital Natives eine umfassende Integration von IT in ihren privaten Alltag. Diese digitalisierungsbedingten Veränderungen betreffen die Arbeitswelt in vielfältiger Hinsicht. So erfordert die Ausgestaltung zukunftsfähiger, innovativer Aus- und Weiterbildungskonzepte die Integration von IT-Lösungen, um die Technologiekompetenz der Mitarbeiter zu kanalisieren und durch neue Formen der Vermittlung von Lerninhalten die Qualität der Weiterbildungsangebote zu erhöhen.
Die Nutzung der erstellten Bildungsinhalte muss dabei einerseits auf klassischen digitalen Lehr- und Lernmedien wie Laptop, Smartphone oder Tablet möglich sein. Andererseits ermöglichen Augmented- und Virtual-Reality-Anwendungen (kurz: AR und VR), dass die erstellten Bildungsinhalte durch die Nutzung bzw. das Tragen von Wearables oder AR-Brillen direkt erfahrbar werden (orts- und zeitunabhängig). So können die Bildungsinhalte dem Lernenden parallel zur tatsächlichen Ausführung einer Tätigkeit vermittelt werden.
Der Wandel zum lebenslangen Lernprozessbegleiter unter Nutzung neuester Technologien bietet enorme Effektivitäts- und Effizienzvorteile. Die Produktivität der Mitarbeiter kann in digitalen Lernwelten nachhaltig gesteigert werden bei gleichzeitiger Reduktion der Kosten. Hierbei müssen die Lehr- und Lernwerkzeuge sowie die Lerninhalte so designt werden, dass – eingebettet in ein bedarfsgerechtes, anwendungsorientiertes Aus- und Weiterbildungskonzept – ihre Nutzung vor dem Hintergrund einer sich stetig verändernden Bildungslandschaft nachhaltig ermöglicht wird.
Dimensionen nachhaltiger digitaler Lernangebote
Lerninhalte
Lerninhalte für die Aus- und Weiterbildung zu digitalisieren setzt voraus, unterschiedlichste, branchenspezifische Bereiche (Kerngeschäftsprozesse) zu analysieren: Service-Prozesse und Wartungspläne im Bereich der Industrie 4.0, Inhalte eines zukunftsorientierten Projektmanagements oder auch Bereiche der Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens. Dabei stehen diese Lerninhalte immer in einem produktiven Spannungsverhältnis zu den Lernenden auf der einen Seite und den Lehrenden auf der anderen.
Die Vermittlung von Lerninhalten erfordert wiederum didaktische Entscheidungen, die sich an den Besonderheiten der Branche und den Voraussetzungen der Lernenden orientieren. Künstlerische, mathematische oder technische Lerninhalte erfordern eine andere Didaktik und andere Lernformate als Lerninhalte aus Kontexten wie dem Projektmanagement. Darüber hinaus lernen Auszubildende anders als Fortgeschrittene, praktisch Begabte anders als theoretisch Interessierte. Schließlich erfordert die Aufbereitung der Lerninhalte die Akzeptanz durch Lehrende und Lernende, um zum lebenslangen Lernen zu motivieren.
Didaktische Methoden
Didaktisch innovative Lernangebote fördern den Wissenserwerb und ermöglichen somit nachhaltiges Lernen. Die in guten digitalen Lernangeboten eingesetzten didaktischen Methoden basieren daher auf aktuellen didaktischen Prinzipien. Experimentelles oder aktiv-entdeckendes Lernen sind zentrale Ankerpunkte. Um den größtmöglichen Wissenstransfer zu ermöglichen, wird eine induktive Bottom-up-Strategie präferiert, die von spezifischen Beispielen ausgeht und daraus Schlussfolgerungen auf allgemeine Phänomene zieht. Dabei werden abwechslungsreiche Lernmethoden eingesetzt und unterschiedlichste Medienformate berücksichtigt, z.B. „Zoom-in Presentations“ als Alternative zu linearen Power Point Präsentationen oder „Interactive Videos“ mit integrierten Aufgaben für die Nutzer.
Technologien
Die Entwicklung digitaler Lernangebote für die Aus- und Weiterbildung ist für Unternehmen mehr als nur die Auswahl und Einführung eines Lernmanagement- oder E-Learning-Systems. Intranet-basierte Lösungen zur Gestaltung von Lehr- und Lernszenarien stoßen im Zeitalter der Digitalisierung schnell an ihre Grenzen und ermöglichen nur selten die Nutzung von Zukunftstechnologien wie Augmented oder Virtual Reality. Dennoch dürfen diese Technologien nicht alleine im Vordergrund stehen, denn: viel wichtiger als der Einsatz moderner Technologien ist das Know-how um die Wirkungen des Technologieeinsatzes. Es geht nicht ohne digital, aber analog ist nicht grundsätzlich schlecht – entscheidend ist insofern nicht die Technologie, sondern die technologieneutrale und didaktisch motivierte Aufbereitung der Inhalte.
Konzeption digitaler Lernangebote
Analyse der Ausgangssituation im Unternehmen
Bei der Übertragung der drei Dimensionen Lerninhalte, didaktische Methoden und Technologien auf die Konzeption digitaler Lernangebote ist insb. darauf zu achten, dass das Lernangebot auf die Anforderungen der Mitarbeiter zugeschnitten ist. Dabei kann es sich bspw. um eine unterschiedliche Herangehensweise für jüngere und ältere Mitarbeiter handeln. Auch kann für einige Teilnehmer des Lernprogramms eine ausgiebigere Einführung nötig sein. Die Einstiegshürden vor allem für neue Nutzer sollten demzufolge niedrig sein, so dass eine schnell nachvollziehbare Einführung neuer Lernformate möglich ist. Zudem sollte berücksichtigt werden, dass unterschiedliche technische Vorkenntnisse existieren. Deswegen ist die Nutzerfreundlichkeit der digitalen Medien und Lernformate („User Experience“) wichtig, damit eine motivierende Lernumgebung geschaffen wird. Nicht zuletzt sollte das Konzept so gestaltet sein, dass geschlechtsspezifische oder kulturell bedingte Hintergründe für die Teilnehmer im Blick sind. Für Trainer oder Ausbildungsleiter ist schließlich relevant, dass sich Inhalte leicht einpflegen und verwalten lassen, sodass man diese schnell an neue Gegebenheiten anpassen kann.
Bezogen auf die drei definierten Dimensionen müssen darüber hinaus folgende Fragen beantwortet werden:
- Lerninhalte: Welche Lerninhalte sind Bestandteil der betrieblichen Aus- und Weiterbildung? Wie sind die einzelnen Lerninhalte kategorisiert? Gibt es eine differenzierte Aufbereitung der Lerninhalte im Hinblick auf die Heterogenität der Zielgruppe? Wie wird der Lerntransfer sichergestellt?
- Technologien: Welche technologischen Lehr- und Lernformate werden aktuell in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung eingesetzt? Wie ist das Verhältnis zwischen digitalen und analogen Lehr- und Lernformaten? Welche technologischen Voraussetzungen gibt es an den unterschiedlichen Projektstandorten?
- Didaktische Methoden: Werden bei der Umsetzung der Lerninhalte didaktische Prinzipien berücksichtigt (z.B. Differenzierung, Individualisierung)? Welche konkreten Methoden werden eingesetzt (z.B. interaktives oder experimentelles Lernen)? Sind die Trainings von einem eher induktiven oder deduktiven Vorgehen geprägt?
Entwicklung einer Anforderungsanalyse
Gemeinsam mit der Analyse der Ausganssituation dient die Anforderungsanalyse der Erstellung von umsetzungsfähigen Lösungsansätzen für ein digitales Lernprogramm. Bei der konkreten Umsetzung muss beachtet werden:
- Innovationsgrad: Berücksichtigung innovativer Lernformate bei gleichzeitiger Verdeutlichung ihres Mehrwerts im konkreten Projektkontext (z.B. Experience-based Learning); Vermittlung von Kompetenzen zur Beherrschung aktueller Anwendungen und Tools.
- Verfügbarkeit des digitalen Lernprogramms: Möglichkeit zur Anpassung an Spezifika innerhalb des Unternehmens; Berücksichtigung interkultureller Unterschiede; endgeräte- und ortsunabhängige Aufbereitung der Lerninhalte je nach Voraussetzung im Unternehmen.
- Flexibilität des digitalen Lernprogramms: Möglichkeit zur Integration spezifischer Inhalte aus dem Arbeitsalltag der Zielgruppe; Differenzierung der Trainings im Hinblick auf das technologische Vorwissen der Zielgruppe; Kombination verschiedenartiger Tools.
- Soziale Faktoren: Förderung der professionellen Zusammenarbeit in Teams durch die Nutzung digitaler Lernformate; Integration von Kollaborationsformaten zur Förderung des gemeinsamen Austauschs und zum Aufbau von Vertrauen in Team und Technologie.
Alle Vorschläge müssen auf Basis der zu erreichenden Ziele auf ihre Integrierbarkeit in vorhandene Aus- und Weiterbildungsszenarien von Unternehmen überprüft werden. Dies geschieht insb. unter Berücksichtigung interner und externer Rahmenbedingungen (z.B. Rechtsvorschriften, Identifikation von sachlich und wirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen).
Innovative digitale Lernprogramme – aber nicht um jeden Preis!
Innovative digitale Lernangebote können ein Lernen ermöglichen, das nachhaltig, innovativ sowie kompetenzorientiert ist und das die Mitarbeiter zum Weiterlernen motiviert – allerdings nicht um jeden Preis. Wichtig ist vielmehr, dass die sinnvolle Verbindung von Didaktik, Methodik und Technologie tatsächlich ein effizienteres Lernen ermöglicht und die Mitarbeiter dies auch erkennen. So müssen die Lerninhalte bspw. dahingehend analysiert werden, inwieweit sie sich überhaupt für eine Transformation in ein digitales Lernformat eignen. Gleiches gilt für die Auswahl eines geeigneten Lernformats. Denn es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Technologien und Tools, die in Lernkontexten eingesetzt und beliebig mit Inhalten kombiniert werden können. Scheinbar im Handumdrehen entstehen auf diese Weise Grafiken, Quizzes oder Stop-Motion-Videos. Bei genauer Analyse der Endergebnisse stellt sich jedoch nicht selten die Frage nach deren Sinn, z.B.: Wird tatsächlich ein Memory benötigt, um die Inhalte einer Vertragsverhandlung zu sichern? Welche Vorteile hat das Erklärvideo zum Thema Problemlösestrategien, wenn darin lediglich ein paar Power-Point-Folien abgefilmt werden?
Deutlich wird schnell: Technologisch möglich ist vieles, aber die Entscheidung zu treffen, was auch didaktisch sinnvoll ist und das Lernen fördert, ist eine Herausforderung. Im Einzelfall geht es auch darum, sich bewusst gegen ein Tool zu entscheiden, wenn es nicht der Vermittlung von Lerninhalten und den damit im Zusammenhang stehenden Kompetenzen dient.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Julia Knopf, begleitend zur Jubiläumsveranstaltung “50 Jahre BNW” am 18.09.2019.