Grundsätzlich ist es für Ausbildende und Führungskräfte eine Herausforderung, Azubis in einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt zu motivieren. Doch wie gelingt dies angesichts Digitalisierung, sich ändernder Werte und steigender Flexibilitätserwartungen? Werfen wir zunächst einen Blick auf den Begriff „Motivation“ und betrachten anschließend klassische und moderne Modelle – inklusive einiger kritischer Stimmen.
Was ist Motivation?
Das Wort „Motivation“ stammt vom lateinischen movere (bewegen) bzw. motus (Bewegung). Darin enthalten ist das Wort „Motiv“, also der Beweggrund für ein bestimmtes Verhalten. Motive sind häufig mit Bedürfnissen verbunden, die auf Mangel beruhen. Die bekannteste Theorie hierzu ist Maslows Bedürfnispyramide, die Abraham Maslow (1954) in seinem Buch Motivation and Personality vorstellte. Maslow selbst betonte jedoch, dass seine Einteilung nur eine grobe Orientierung sei. Spätere Forschungen haben gezeigt, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse (z. B. Sicherheit, soziale Bindung, Selbstverwirklichung) auch parallel empfinden können.
Hinweis: Maslows Modell wird in der Praxis häufig angewandt, doch die empirische Grundlage ist vergleichsweise klein, und es existiert bis heute keine einheitliche Bestätigung seiner starren Stufentheorie.
Zeitalter 4.0: Was hat sich geändert?
Wir leben in der sogenannten Industrie 4.0. Immer schnellere digitale Prozesse, automatisierte Arbeitsabläufe und eine enge globale Vernetzung sind längst Realität. Damit ändern sich sowohl die Anforderungen an Beschäftigte als auch die Erwartungen junger Menschen an Unternehmen – etwa hinsichtlich Work-Life-Integration und digitaler Arbeitsprozesse.
Industrie 1.0 – 4.0 in Kürze
- Industrie 1.0 (ab etwa 1800): Wasserkraft, Dampfmaschine und Mechanisierung.
Lohnarbeit wird zum Privileg, was Eigenmotivation fördert.
- Industrie 2.0 (Ende 19. Jahrhundert): Elektrizität ermöglicht Massenproduktion im Akkord.
Fließbandarbeit führt zu Monotonie, Akkordlöhne zu starker Leistungskopplung.
- Industrie 3.0 (ab 1960er): Computergesteuerte Fertigung, weitere Automatisierung.
Rationalisierungen führen zu Stellenabbau, ältere Mitarbeitende fühlen sich abgehängt.
- Industrie 4.0 (heute): Vernetzung von Cyber-physischen Systemen, ständige Datenpräsenz.
Agile Teamarbeit, flache Hierarchien, virtuelle Kommunikation, Individualisierung von Produkten und große Bedeutung der Work-Life-Integration.
Ausbildung 4.0
Auszubildende, insbesondere aus der Generation Z (Jahrgänge ab Mitte der 1990er), sind häufig „Digital Natives“ und bringen viel technisches Verständnis mit. In vielen Unternehmen bilden jedoch veraltete Strukturen, strenge Hierarchien, starre Rahmenlehrpläne oder Handyverbote noch immer die Realität ab. Das kann bei jungen Menschen für Unmut sorgen und ihre Motivation bremsen.
Klassische Motivationsmodelle: Ein Überblick mit kritischem Blick
1. Maslows Bedürfnispyramide (1954)
Diese Theorie unterteilt Bedürfnisse hierarchisch von „physiologischen Grundlagen“ bis hin zur „Selbstverwirklichung“. Obwohl Maslows Pyramide in Wirtschaft und Pädagogik sehr verbreitet ist, gilt sie in der Wissenschaft als nicht eindeutig empirisch untermauert. Menschen können beispielsweise auch dann nach Selbstverwirklichung streben, wenn grundlegende Bedürfnisse nicht vollumfänglich befriedigt sind.
2. Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie (1968)
Der US-amerikanische Psychologe Frederick Herzberg bezeichnete Faktoren, die Unzufriedenheit reduzieren (z. B. Lärm, unfaire Bezahlung), als Dissatisfaktoren. Erst durch Satisfaktoren wie Anerkennung, Verantwortung oder Aufstiegschancen entstehe echte Zufriedenheit. Die Grundaussage dieser Theorie – „Das Entfernen von Unzufriedenheitsfaktoren allein macht noch nicht zufrieden“ – hat bis heute hohe Relevanz.
Kritik: Herzbergs Befragungen wurden teils als nicht ausreichend repräsentativ kritisiert, zudem wird eine starr zweigeteilte Einteilung (Dissatisfaktoren vs. Satisfaktoren) hinterfragt.
3. Reiss’ 16 Lebensmotive (ab 1990er)
Steven Reiss (2000) entwickelte ein Modell, wonach jede Person unterschiedliche „Lebensmotive“ (z. B. Neugier, Anerkennung, Rache, Unabhängigkeit) mit individuellen Ausprägungen besitzt. Diese Einzigartigkeit kann erklären, warum jemand sich mehr für Sicherheit und ein anderer für Abenteuer begeistert.
Kritik: Die 16 Motive sind auf Reiss’ eigenen Untersuchungen aufgebaut und werden nicht in gleichem Maße durch externe Forschung bestätigt. Auch hier gibt es Skepsis, ob die Motive so stabil sind, wie Reiss annimmt.
4. Moderne Ansätze: Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan)
In jüngerer Zeit wird in Wissenschaft und Praxis zunehmend die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory, kurz SDT) von Edward L. Deci und Richard M. Ryan (Handbook of Self-Determination Research, 2002) herangezogen. Sie fokussiert die drei grundlegenden Bedürfnisse Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit (relatedness). Gerade in der Arbeit mit Auszubildenden kann dieses Modell helfen:
- Azubis brauchen Autonomie in ihrer Aufgabenwahl bzw. Gestaltung.
- Sie wollen Kompetenz entwickeln und wachsen.
- Sie benötigen zwischenmenschlichen Zusammenhalt und Wertschätzung, um nachhaltig motiviert zu sein.
Demotivatoren erkennen – Motivatoren stärken
Aus meiner Erfahrung als Trainer:in und Coach sehe ich häufig folgende Demotivatoren bei Azubis:
- Unter- oder Überforderung
- Unklare Kommunikation
- Starre Regeln (z. B. rigides Handyverbot ohne stichhaltige Begründung)
- Unzeitgemäße Ausbildungsinhalte
- Mangel an Sinnvermittlung (z. B. „Warum machen wir das eigentlich so?“)
Was können Sie tun?
1.Gespräche führen: Fragen Sie Ihre Azubis, was sie frustriert und was sie anspornt.
2.Ängste offen ansprechen: Ob es der Klimawandel ist oder die Angst, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden – zeigen Sie echtes Interesse.
3.Konkrete Maßnahmen vereinbaren: Was kann im Betrieb schnell geändert werden? Was mittel- oder langfristig?
4.Verantwortung aufzeigen: Was können die Azubis selbst leisten? Welche Unterstützung ist von Führungskräften erforderlich?
5.Transparent machen: Halten Sie Motivationsfaktoren und gewünschte Verbesserungen in der Sprache der Azubis fest und machen Sie sie für alle sicht- und nachvollziehbar.
Sprüche und Tipps zur Motivation im Arbeitsalltag
- Unsere Lösungen liegen in der Zukunft.
- Wir reden besser miteinander, nicht übereinander.
- Wer sein Ziel kennt, findet den Weg.
- Wer anderen Freude bereitet, erfährt oft selbst Freude.
- Wir respektieren Mensch und Umwelt.
- Erfahrung ist nicht nur eine Frage des Alters. Es geht darum, offen zu bleiben für das, was möglich ist.
Abschließende Fragen:
- Wann starten Sie mit ersten Umsetzungen?
- Kennen Sie bereits die individuellen Motivationsfaktoren Ihrer Auszubildenden?
Quellen (Auswahl)
Deci, E. L. & Ryan, R. M. (2002). Handbook of Self-Determination Research. University of Rochester Press.
Herzberg, F. (1968). One More Time: How Do You Motivate Employees? Harvard Business Review, 46(1).
Maslow, A. H. (1954). Motivation and Personality. Harper & Row.
Reiss, S. (2000). Who Am I?: The 16 Basic Desires that Motivate Our Actions and Define Our Personalities. Berkley Books.
Bitte beachten Sie: Alle genannten Modelle haben einerseits Praxisrelevanz, andererseits existieren teils erhebliche methodische und empirische Einwände. Ein modernes und umfassendes Verständnis von Motivation sollte daher immer mehrere Theorien und aktuelle Studien berücksichtigen.