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Authentizität in der Arbeitswelt: Warum uns das „Besondere“ so wichtig ist

Die Sehnsucht nach dem Echten

Authentizität ist zu einem allgegenwärtigen Ideal geworden. Ob in Politik, Werbung, Tourismus oder Social Media, überall geht es darum, „echt“ zu wirken. Wir suchen nach dem Authentischen, nach Orten, Menschen oder Produkten, die unverfälscht erscheinen. Diese Sehnsucht zeigt, wie sehr wir in einer Gesellschaft leben, die das Besondere dem Allgemeinen vorzieht.

Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt diesen Wandel in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten. Seine zentrale These lautet, dass wir in einer Welt leben, die das Einzigartige belohnt. Während frühere Generationen Wert auf das Normale, Durchschnittliche und Verlässliche legten, streben wir heute danach, uns abzuheben. Statt Reihenhaussiedlung und Pauschalurlaub zählt nun das Außergewöhnliche, im Lebensstil, im Konsum und zunehmend auch im Beruf.

 

Vom Mainstream zum Ich-Projekt

Unsere Eltern suchten Sicherheit und Stabilität. Ein gutes Leben bedeutete, Teil einer funktionierenden Gemeinschaft zu sein. Heute gilt das Gegenteil. Wir wollen individuell, kreativ und besonders wirken. Das zeigt sich auch in der Arbeitswelt. Lebensläufe sollen einzigartig sein, Karrierewege kuratiert und nicht linear. Man spricht von Personal Branding statt von Berufsbiografie.

Reckwitz sieht darin eine neue Form des Authentizitätsstrebens. Das Singuläre, also das Einmalige, wird zum Beweis des Echten. Wir wollen nicht nur erfolgreich, sondern wir selbst sein. Wir wollen das Gefühl haben, dass unsere Arbeit, unsere Haltung und unser Auftreten zu uns passen. Das klingt positiv und kann dennoch zu einer Quelle ständiger Selbstvergleiche und Überforderung werden.

 

Authentizität als Inszenierung

Hier lohnt sich ein genauer Blick. Authentizität ist kein festes Merkmal, sondern ein soziales Konstrukt. Etwas gilt als authentisch, wenn es von anderen als solches wahrgenommen wird. Das bedeutet, Authentizität ist immer eine Beziehungssache. Sie entsteht im Zusammenspiel zwischen dem, was wir zeigen, und dem, wie andere es deuten.

Das klingt abstrakt, hat aber konkrete Folgen, besonders in der Arbeitswelt. Mitarbeitende sollen authentisch führen, Teams sollen authentisch kommunizieren, Marken sollen authentisch auftreten. Doch was heißt das eigentlich? Wenn Authentizität davon abhängt, wie sie gesehen wird, dann ist sie auch ein Stück weit Darstellung. Das bedeutet nicht, dass sie unecht ist, sondern dass sie bewusst gestaltet werden kann.

Der Unterschied zwischen „echt sein“ und „echt wirken“ ist subtil, aber entscheidend. Denn wer meint, Authentizität bedeute, ungefiltert alles zu zeigen, kann schnell Grenzen überschreiten, etwa wenn Führungskräfte zu privat werden oder Emotionen unreflektiert in Teams tragen. Authentizität braucht also immer auch Bewusstsein und Kontext.

 

Was Unternehmen von Angela Merkel lernen können

Ein spannendes Beispiel liefert eine Studie über Angela Merkels Instagram-Auftritt. Während viele Politikerinnen und Politiker ihre Nahbarkeit durch Selfies, Familienbilder und spontane Posts inszenieren, wählte Merkel einen anderen Weg. Ihr Content blieb sachlich, distanziert und konzentriert auf ihre Arbeit. Und trotzdem oder gerade deswegen wurde sie als authentisch wahrgenommen.

Warum? Weil sie konsequent blieb. Sie hat nicht versucht, einem Social-Media-Trend zu entsprechen, sondern ihren eigenen Stil beibehalten. Forschende nennen das den Effekt der Kontinuität. Authentisch wirkt, wer sich selbst treu bleibt. Oder wie es eine Soziologin zusammenfasste: „Merkel hat nicht Instagram angepasst, sie hat Instagram an sich angepasst.“

Für Unternehmen ist das eine wertvolle Erkenntnis. Authentizität entsteht nicht durch Anpassung an jede neue Erwartung, sondern durch eine klare Linie. Das gilt für Führungskräfte ebenso wie für Marken. Wer eine Haltung hat und sie langfristig sichtbar lebt, wirkt glaubwürdig, auch wenn die Form sich verändert.

 

Der Wandel darf bleiben, der Kern muss stimmen

Authentisch zu sein bedeutet nicht, stillzustehen. Weder Menschen noch Organisationen bleiben unverändert. Entscheidend ist, dass der Kern erkennbar bleibt. Eine Berliner Eckkneipe kann vegetarische Gerichte auf die Karte setzen und bleibt trotzdem echt, wenn die Atmosphäre und der Umgang mit den Gästen gleichbleiben.

Genauso dürfen Unternehmen sich weiterentwickeln, neue Themen aufgreifen oder Kommunikationsformen verändern, solange die Werte, für die sie stehen, nicht verloren gehen. Authentizität bedeutet also nicht Perfektion, sondern Kohärenz. Das, was nach außen sichtbar wird, muss mit dem inneren Anspruch übereinstimmen.

 

Der Druck, besonders zu sein

So schön der Gedanke des Authentischen klingt, so groß kann der Druck werden, ihn zu erfüllen. Wenn alle besonders sein wollen, verliert das Besondere seine Bedeutung. Reckwitz nennt das den systematischen Enttäuschungsgenerator unserer Zeit. Je mehr Menschen versuchen, sich durch Einzigartigkeit zu unterscheiden, desto schwieriger wird es, tatsächlich einzigartig zu sein.

In Unternehmen zeigt sich das oft subtil. Mitarbeitende vergleichen sich über Karrierewege, Projekte oder Sichtbarkeit im Intranet. Wer nicht ständig Neues zeigt oder außergewöhnliche Ideen präsentiert, hat schnell das Gefühl, nicht genug zu sein. So entsteht ein paradoxes Spannungsfeld. Wir sollen authentisch wirken, aber bitte erfolgreich, inspirierend und interessant dabei.

Das Ergebnis ist Druck, Überforderung und manchmal auch Zynismus. Authentizität, die eigentlich Leichtigkeit bringen sollte, wird zum Maßstab, an dem wir uns selbst und andere messen.

 

Zwei Denkfallen vermeiden

Reckwitz schlägt vor, mit zwei typischen Mustern aufzuräumen.

1. Das Entlarven:

Wir neigen dazu, die Authentizität anderer infrage zu stellen, nach dem Motto: „Der tut ja nur so.“ Das mag kurzfristig entlasten, führt aber langfristig zu Misstrauen. Besser ist es, zu akzeptieren, dass Authentizität immer perspektivisch ist. Was für die eine Person echt wirkt, kann für eine andere künstlich erscheinen.

2. Das Mystifizieren:

Ebenso verbreitet ist die Tendenz, Authentizität zu verklären, als etwas Reines oder Ursprüngliches, das man besitzen oder verlieren kann. Diese Vorstellung übersieht, dass auch Echtheit kulturell und kommunikativ geformt ist. Selbst die vermeintlich natürlichsten Momente sind oft sorgfältig kuratiert, im privaten wie im beruflichen Kontext.

Wer beides vermeidet, kann entspannter mit Authentizität umgehen und sie als etwas Dynamisches begreifen, das sich entwickeln darf.

 

Praktische Impulse für den Berufsalltag

  1. Klarheit über Werte schaffen:
    Authentizität beginnt mit innerer Klarheit. Wer weiß, wofür er steht, kann auch in schwierigen Situationen stimmig handeln.
  2. Kontinuität vor Inszenierung:
    Lieber konstant glaubwürdig als kurzfristig auffällig. Kleine, verlässliche Zeichen von Haltung wirken stärker als große Gesten.
  3. Raum für Unterschiedlichkeit lassen:
    Authentizität zeigt sich auch darin, Vielfalt zuzulassen. Nicht jede oder jeder muss gleich kommunizieren, um glaubwürdig zu sein.
  4. Selbstdruck hinterfragen:
    Wenn Authentizität zum Wettbewerb wird, verliert sie ihren Sinn. Sich selbst und anderen Unperfektion zuzugestehen, ist Teil von Echtheit.
  5. Authentizität als Teamleistung begreifen:
    In Unternehmen entsteht Glaubwürdigkeit durch das Zusammenspiel vieler, durch stimmige Kommunikation, gemeinsame Werte und gelebte Kultur.

 

Fazit: Authentizität braucht Balance

Authentisch zu wirken ist kein Ziel, das man einmal erreicht. Es ist ein fortlaufender Prozess zwischen Selbstverständnis, Ausdruck und Wahrnehmung. Für Unternehmen wie für Einzelne gilt, echt wirkt, wer Haltung zeigt, nicht wer perfekt ist.

Wer sich nicht vom Druck des Besonderen treiben lässt, sondern Kontinuität, Werte und Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellt, schafft eine Form von Authentizität, die wirklich trägt. Sie entsteht nicht durch Selbstinszenierung, sondern durch stimmiges Handeln, Tag für Tag, im Kleinen wie im Großen.

 

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