Andere Menschen zu führen ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen, denen sich ein Mensch stellen kann. Nicht erst in Krisen, sondern auch in „normalen“ Zeiten sind Vorbilder gefragt: Menschen, die souverän ihre Führungsstärke unter Beweis stellen und in der Lage sind, Sicherheit zu vermitteln, wie einst Helmut Schmidt während der Jahrhundertflut in Hamburg. Was wir aktuell beobachten können ist, dass die Vertreter der Generationen Y und Z andere Erwartungen an ihre Führungskräfte haben: Diese sollen agil sein, sinnstiftend agieren und auf Augenhöhe führen. Ein Anspruch an Leader bleibt allerdings gleich: Von ihnen wird Stärke erwartet – und die wirkt immer von innen nach außen. Darum sind Führungskräfte gut beraten, sich auf die Suche nach ihrer inneren Stärke zu machen. [toc]
Stärke richtig definieren
Was bedeutet das Wort „Stärke“, wenn es um Führung geht? Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten, denn Stärke wird von jedem Menschen individuell, sprich subjektiv, definiert. Was für den Einen eine Stärke darstellt, zum Beispiel schnelle Entscheidungen zu treffen, ist für den Anderen eine Schwäche, weil die Konsequenzen der Entscheidung vielleicht nicht hinreichend beleuchtet wurden. Es kommt also immer auf die Perspektive an. Generell gilt, dass Stärke anhand der folgenden Eigenschaften und Verhaltensweisen sichtbar wird:
- Nicht an sich selbst zu zweifeln
- Den Mut zu haben, unkonventionelle Wege zu gehen
- Gegenwind auszuhalten
- Zuzuhören und andere Meinungen zu aktzeptieren
- Ehrlichkeit
Und so wird klar, dass Stärke nicht darin besteht, autoritär von oben nach unten durchzusteuern. Wahre Stärke erkennen wir daran, dass wir den Mut haben, auch mal schwach zu sein.
Methoden zur Selbstreflexion
Bücher über Führung gibt es reichlich. In ihnen werden Führungsstile definiert und Tools vorgestellt, die Führung erleichtern sollen. Doch in keinem steht, wie eine Führungskraft genau zu sein hat. Welcher Charakter, welches Temperament ist geeignet, um eine Führungsrolle einzunehmen? Hier gehen die Meinungen weit auseinander und es ist hilfreich, sich bewusst zu machen, dass die Führungsrolle immer mit Persönlichkeit ausgefüllt wird, die eben nicht bewertbar ist. Daraus folgt: Jeder Mensch führt mit seiner individuellen Persönlichkeit und spricht damit – basierend auf zwischenmenschlicher Chemie – die Hälfte seiner Mitarbeiter an. Zu der anderen Hälfte der Belegschaft eine Beziehung aufzubauen, bedeutet Arbeit. Kein Mensch fällt als Führungskraft vom Himmel, Führung wird durch Erfahrung erlernt. Ein paar unschöne Erfahrungen kann man sich allerdings ersparen, indem man sich auf dem Weg zur erfolgreichen Führungskraft Unterstützung holt.
Selbstreflexion als Führungskraft
Selbst wenn Führung auf der individuellen Persönlichkeit beruht, herrscht in der Arbeitswelt doch weitgehend Konsens darüber, welche Eigenschaften eine Führungskraft mitbringen sollte. An diesem Punkt kommt wiederum die Selbstreflexion ins Spiel: Hinterfragen Sie doch einmal auf ehrliche Art und Weise, welche Eigenschaften bei Ihnen vorhanden sind – und an welcher Stelle Sie noch lernen dürfen:
- Resilienz und Geduld
- Transparenz / Eindeutigkeit / Klarheit
- Durchsetzungskraft
- Konstruktivität und Lösungsorientierung
- Emotionale Intelligenz, Einfühlungsvermögen
- Verhandlungsgeschick
- Leidenschaft
- Verantwortungsbewusstsein
Die Krux mit dem blinden Fleck
Es liegt in der Natur der Sache: Je höher eine Führungskraft in der Hierarchie eines Unternehmens aufsteigt, je mehr Macht sie durch das Amt verliehen bekommt, desto weniger ist sie bereit, sich selbst zu hinterfragen oder sich in Frage stellen zu lassen. Die Hybris der Macht führt irgendwann dazu, für eigene Verfehlungen weitgehend blind zu sein. Und desto übler wird der Absturz: Etliche Beispiele von „gefallenen Managern“ wie Josef Ackermann oder Thomas Middelhoff belegen dieses Phänomen. Darum sollten Führungskräfte den Mut haben, sich regelmäßig Feedback einzuholen, auch dann, wenn sie nicht die Verantwortung für Tausende von Mitarbeitern haben. Das Selbstbild regelmäßig mit dem Fremdbild zu synchronisieren ist ein Prozess, der nicht immer angenehm ist – aber er ist der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg.
Warum Selbstreflexion?
Führungskräfte können daran arbeiten, eine gute Beziehung zu ihren Mitarbeitern aufzubauen: durch Anerkennung, Respekt und Vertrauen und dadurch, ein gutes Vorbild zu sein. Sie sollten sich mit ihrer intrinsischen Motivation auseinandersetzen und ihr eigenes Persönlichkeitsmuster durch und durch ken-nenlernen. Darin liegt die Chance, die eigene Wirkung in Gänze zu verstehen und zu erkennen, warum das Führen des einen Mitarbeiters leichtfällt und des anderen Mitarbeiters nahezu unmöglich ist. Dazu gehört auch, sich mit den Schattenseiten der Persönlichkeit auseinanderzusetzen und mit Schwächen ehrlich und authentisch umzugehen. Den Entwicklungsweg zu gehen und an der eigenen Persönlichkeit zu arbeiten, wird automatisch eine Wirkung auf Mitarbeiter haben: Man kann die anderen Menschen nicht verändern – aber sie verändern sich von selbst, wenn man sich selbst verändert.
Der radikal-empathische Führungsstil
Die größte Führungsherausforderung besteht heute darin, Mitarbeiter zu motivieren und Menschen an das Unternehmen zu binden. Darum ist es so wichtig, die eigene Führungshaltung zu hinterfragen und in der Lage zu sein, mit der eigenen Persönlichkeit flexibel agieren zu können. Führungkräfte prägen maßgeblich die Unternehmenskultur, die wiederum auf neue Mitarbeiter attaktiv wirkt und vorhandene Mitarbeiter an das Unternehmen bindet. Menschen arbeiten für Menschen: Wenn die Bindung zu der direkten Führungskraft gut und gestärkt, die Zusammenarbeit vertrauensvoll und wertschätzend ist, dann sind Mitarbeiter zufrieden. Wenn sie zufrieden sind, leisten sie gern ihren Beitrag und sind bereit, die Führungskraft zu unterstützen – was dieser wiederum zum Erfolg verhilft.
Warum ist Feedback so wichtig?
Der wichtigste Part im Beziehungsaufbau zu Mitarbeitern besteht darin, Vertrauen aufzubauen. Das gilt übrigens in beide Richtungen: Auch die Führungskraft sollte den Mitarbeitern vertrauen (können) – und das geschieht erst, wenn ehrliches Feedback ausgetauscht worden ist. Sich gegenseitig sagen zu können, welche Eigenschaften oder Verhaltensweisen man als störend in der Beziehung empfindet, schafft Vertrauen, denn dieser Austausch mündet in der Vereinbarung, sich gegenseitig mit allen Ecken und Kanten zu akzeptieren. Dabei ist darauf zu achten, dass positive und negative Aspekte sich die Waage halten. Am wichtigsten ist allerdings die Botschaft: „Ich habe mich mit Dir und Deiner Persönlichkeit intensiv auseinandergesetzt. Ich habe über Dich nachgedacht, ich sehe Dich in all Deinen Facetten und möchte Dich dabei unterstützen, diese in unsere Beziehung einzubringen.“ Gleiches gilt auch für die, die sie zu sich selbst haben.
Drei praktische Tipps, um sich selbst näher zu kommen
Führungskräfte sind immer gut beraten, sich selbst zu hinterfragen. Das kann durch ein Coaching mit einem Sparringspartner geschehen oder durch ein 360-Grad-Feedback – aber nur, wenn es auch nachgefasst, ausgewertet und eingeordnet wird. Die folgenden Tipps vermitteln ein Gefühl dafür, worauf es bei der Selbstreflexion ankommt:
- Welche Kritik an meiner Person / an meinem Verhalten trifft mich am härtesten? Sie ist vermutlich wahr.
- Was wirft Ihnen Ihr Partner / Ihre Partnerin im schlimmsten Streit an den Kopf? Diese Eigenschaften oder Charakterzüge wollen Sie vermutlich auch als Führungskraft nicht an sich selbst sehen.
- Welche negative Eigenschaft war in den Lebensjahren zwischen 20-30 am stärksten ausgeprägt? Sie ist wahrscheinlich auch heute noch Ihre Achillesferse in der Führung.
Fazit
Wir können aktuell beobachten, dass sich der Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Dementsprechend ist klar, dass auch Führung neu gedacht werden muss: Bereits in der nahen Zukunft werden die Führungskräfte erfolgreich sein, denen es gelingt, Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Wie es der Name schon sagt: Dazu müssen Führungskräfte bindungsfähig sein, das heißt, es muss ihnen gelingen, eine gute Beziehung zu ihren Mitarbeitern aufzubauen. Selbstreflexion und das Auflösen der eigenen „blinden“ Flecke wird die Grundlage für eine erfolgreiche Führung sein. Erkenne Dich selbst – und Du erkennst alles.
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