Veränderungsmanagement ist eine der größten Aufgaben für die deutschen Industriebranchen. Nicht nur die Automobilindustrie – auch die Zulieferer sind davon in hohem Maß betroffen. Was jetzt benötigt wird, ist gutes Change Management, Organisation und Umsetzung durch Transformationslotsen. Denn aufgrund des weltweiten Umstiegs auf die Elektromobilität werden laut des Magazins „Absatzwirtschaft“ die Autos mit Verbrennungsmotor in Deutschland nur noch einen Marktanteil von 35 Prozent haben.
Statt die digitale Transformation voranzutreiben und dem Veränderungsmanagement mehr Priorität einzuräumen, diskutieren wir in Deutschland immer noch über technische Versäumnisse und verpasste Marktchancen.
In Niedersachsen sind derweil rund 250.000 Beschäftigte von den Veränderungsprozessen in der Automobilindustrie betroffen. Aber auch in anderen Wirtschaftszweigen – wie Logistik und Finanzen – ist spürbar, dass sich die Unternehmen verändern müssen. Das Tempo bei der Einführung neuer Technologien sowie Investitionen in Arbeitskräfte und deren Qualifikationen werden für Unternehmen zu Erfolgsfaktoren, die ihre Zukunftsfähigkeit beeinflussen. In Niedersachsen zeigt die Volkswagen AG, welche Schritte jetzt wichtig sind, um erfolgreich Change Management zu betreiben. [toc]
Qualifizierung „Spezialist*in für digitale Transformation und Veränderungsmanagement“
Transformation erfolgreich gestalten
Veränderungsmanagement bedeutet: Investitionen in die Kompetenzen von Mitarbeitern tätigen
Obgleich die Bedeutung der Elektroautos wächst, ist die Ausgangsposition alles andere als optimal. Die derzeit größte Herausforderung für viele Autohersteller sind Lieferprobleme. Aufgrund der hohen Nachfrage von Elektroautos – auch ausgelöst durch Kaufprämien und politische Diskussionen – arbeiten die Autobauer am Ausbau der Kapazitäten und haben trotzdem mit viel zu langen Lieferzeiten zu kämpfen. Bestellstopps und Engpässe sind die Folge.
Bisherige Investitionen und politische Zielsetzungen sollten einfach mal umverteilt und erst einmal die Kompetenzen der Führungskräfte und Mitarbeiter in den Blick genommen werden. Dieser Ansicht ist auch Andreas Strutz, Leiter Leanakademie Konzern und Leiter Weiterbildung Produktion und Logistik der Marke VW. Im Interview mit dem Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) beschreibt er, welche Herausforderungen er in den kommenden 3 Jahren auf die Branche zukommen sieht: „Ich bin seit 1980 für Volkswagen tätig. Nach verschiedenen Stationen in Produktion und Qualitätssicherung bin ich seit vier Jahren verantwortlich für die Weiterbildung im Bereich Produktion und Logistik, dort insbesondere für die Transformationsprozesse bei Volkswagen.
Die digitale Transformation begegnet uns sowohl beim Produkt – durch das vernetzte und das autonome Fahren sowie durch Assistenzsysteme – als auch in der Produktionssteuerung, zum Beispiel beim Aufbau einer digitalen Plattform, um weltweit Produktionsstandorte zu vernetzen. Die besondere Herausforderung im Bereich Produktion besteht in der Umstellung auf Elektromobilität – zum Beispiel die Fertigung von Batteriezellen in Salzgitter und Elektroantriebstechnologien in Kassel. Dies erfordert eine massive Umschulung unserer Beschäftigten, um den Wechsel vom Verbrenner zum Elektrofahrzeug erfolgreich zu gestalten.
Die Qualifizierung betrifft bei uns vor allem Teamsprecher und Meister, findet also zunächst auf Shopfloor-Ebene statt. Daran anschließend möchten wir auch das obere Management durch passgenaue Workshops oder Schulungen sensibilisieren, damit sie den Wandel aus der Mitte der Belegschaft heraus unterstützen.“
Beispiel Volkswagen: Erhöhte Komplexität erfordert gutes Change Management
Parallel dazu laufe laut Andreas Strutz die Entwicklung hin zum teilautonomen und autonomen Fahren. Der dafür erforderliche Umbau von Produktion und IT Infrastruktur sei eine große Herausforderung. Strutz erklärt: “Wenn wir vom Produkt ausgehen, so bestehen herkömmliche Fahrzeuge aus einer Vielzahl an Steuergeräten, die zwar miteinander kommunizieren, aber an sich eigenständige Systeme sind. Bei den neuen Modellen sind zwei „Großrechner“ integriert, die viele Einzelfunktionen komplett als geschlossenes System übernehmen. In der Produktion sprechen wir vom „Betanken“ der Fahrzeuge mit Daten, damit sie definierte Aufgaben übernehmen können.
Da die Anforderungen pro Produktgruppe sehr unterschiedlich sind, haben wir es mit entsprechend mehr Komplexität – insbesondere bei der Inbetriebnahme der Fahrzeuge – zu tun. Um dafür das technische Know-how zu gewährleisten, investieren wir in die Weiterbildung unserer Beschäftigten insbesondere am Standort Zwickau, beginnen jetzt aber auch in Emden, Hannover und Wolfsburg.”
Mit Transformationslotsen den Veränderungsprozess einleiten
Deswegen nimmt die Volkswagen AG mit 3 Mitarbeitern an einem Modell namens “Transformationslotsen” teil: Um Unternehmen bei Change-Prozessen zu unterstützen, werden die künftigen Transformationslotsen mit entsprechendem Expertenwissen ausgestattet. Mit der Qualifizierung unterstützt das Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft in Zusammenarbeit mit der Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN (AUL) die Kernbranchen Niedersachsens.
Es braucht alle Beteiligten, um Strukturen zu verändern. Das deutschlandweite Projekt wurde deswegen als Koalition von Arbeitgebern und Gewerkschaften entwickelt – gemeinsam mit den Unternehmerverbänden Niedersachsen und dem DGB Niedersachsen. Neben VW nehmen auch viele mittelständische Unternehmen an der Qualifizierung “Transformationslotsen” teil, die ihre Unternehmenskultur erfolgreich verändern wollen und die nach Strategien Ausschau halten, mit denen Motivation und Verantwortung für das Change Management intern gesteigert werden können.
Als zukünftige „Spezialist*innen für digitale Transformation und Veränderungsmanagement“ lernen Führungskräfte und Mitarbeiter, interne Hürden zu identifizieren und zu beseitigen. Sie arbeiten die Notwendigkeit des Veränderungsprozesses heraus, nehmen alle Beteiligten mit und führen erfolgreich durch die einzelnen Phasen der Umsetzung. Auf diese Weise beschleunigen sie den Prozess innerhalb der eigenen Organisation und zeigen vorbildlich, wie Mitgestalten funktioniert. Doch was heißt Change Management eigentlich genau und welche Definition gibt es dafür?
Change Management – Definition und Methoden strategischer Veränderung
Change Management bedeutet laut Gabler Wirtschaftslexikon „laufende Anpassung von Unternehmensstrategien und -strukturen an veränderte Rahmenbedingungen“. Der Wandel repräsentiere heute in Unternehmen nicht mehr den Sondervorgang, sondern eine häufig auftretende Regelerscheinung, so die Experten für Wirtschaftswissen.
Zwischen Top-down- und Bottom-up-Ansätzen des Change Management hat sich inzwischen der Mittelweg durchgesetzt: Die Unternehmensleitung macht klare Vorgaben und bezieht gleichzeitig die Mitarbeiter in den Transformationsprozess so weit wie möglich ein. Laut Capgemini wurden wirklich erfolgreiche Change Management Projekte im letzten Jahrzehnt weit seltener ohne Bottom-up-Ansätze gemanagt.
Wichtig sei – neben dem Einbeziehen der Mitarbeiter in den Veränderungsprozess – die zielgruppenorientierte Qualifizierung und Entwicklung der Beschäftigten, so führt es das Beratungs- und IT-Dienstleistungsunternehmen aus. Klassisch bewährte Methoden des Veränderungsmanagements seien die Weiterbildung und der Workshop, etwas experimenteller kommen „Lernlandkarten“ oder „Unternehmenstheater“ daher.
Veränderungsmanagement: Austausch zu Erfolg und Zielen in Form von lernenden Netzwerken
Das BNW und ARBEIT UND LEBEN nutzt neuwertige Methoden und baut Transformations-Hubs auf, in denen Expertenwissen nicht nur erlernt, sondern auch weitergeben wird. Denn die von Veränderungsprozessen betroffenen Führungskräfte und Mitarbeiter zu Transformationslotsen auszubilden, ist nur der erste Schritt zum Change Management. Entscheidend sind auch die Einbindung und der Austausch der Mitarbeitenden untereinander.
Andreas Strutz beschreibt es für VW so: „Mitarbeitende sollten Veränderungsprozesse praxisbezogen diskutieren, um Chancen für sich und ihren neuen Aufgabenbereich erschließen zu können. Durch die Qualifizierung ausgewählter Personen zu Transformationslotsen möchten wir eine stärkere Vernetzung sowohl innerhalb als auch außerhalb unseres Konzerns fördern. Interne Vernetzung bedeutet, dass wir konkrete Ansprechpartner*innen in den Standorten haben, die unsere Teams in der Produktion direkt am Ort der Fertigung – sprich auf dem Shopfloor – motivieren und sie auf dem Weg der Veränderung mitnehmen. Die Transformationslotsen sollen helfen, Ängste abzubauen und Motivation für Neues und Unbekanntes zu wecken.“
Doch auch die externe Vernetzung steht auf dem Programm, um sich zur Umsetzung von Veränderungsprozessen mit anderen auszutauschen.Laut Andreas Strutz möchte VW es mit dem Herzstück des Projekts Transformationslotsen – dem Transformations-Hub – fördern. Er sagt: “Hierbei geht es uns insbesondere um die Vernetzung mit Mittelständlern und der Zulieferindustrie. Unser Wunsch ist es, mithilfe des Austauschs über die Plattform ein gemeinsames Verständnis von Veränderung herzustellen. Die partnerschaftliche Vernetzung unserer Konzernstandorte mit dem KMU-Bereich, also kleinen und mittleren Unternehmen, ist ein großes Anliegen und für uns ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Transformation.”
Besonders überzeugt habe ihn deshalb die gute inhaltliche Struktur vom Modell Transformationslotsen, aber auch der Vernetzungs- und Austauschgedanke, um gemeinsam mit anderen Unternehmensvertretern anhand praktischer Beispiele ein erweitertes Problembewusstsein zu entwickeln.
Zitat
“Ich glaube, für eine umfassende Transformation braucht es große Unternehmen wie Volkswagen, Continental, Siemens, Bosch usw. in den Regionen als Unterstützer im KMU-Bereich. Da wir hinsichtlich der Gestaltung eines notwendigen Veränderungsprozesses alle in einem Boot sind, können beide Seiten vom Austausch in den sogenannten Transformations-Hubs profitieren. Im Idealfall lernen wir mit- und voneinander und kommen gemeinsam vorwärts. Starre Strukturen und Abgrenzung bringen uns nicht weiter, um in einer schnelllebigen und flexiblen Umwelt dauerhaft bestehen zu können. Selbstbestimmt und partnerschaftlich vernetzt gestalten zu können – das ist es, was wir uns wünschen.”
– Andreas Strutz, Leiter Leanakademie Konzern und Leiter Weiterbildung Produktion und Logistik der Marke VW.
Veränderungsmanagement durch Transformationslotsen kann finanziell gefördert werden
In der Krise und Zeiten großer Veränderung will die Politik die Unternehmen absichern. Deswegen hat der Bundesrat am 15. Mai 2020 das „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ beschlossen mit dem Ziel, die Weiterbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter finanziell zu fördern.
Doch allein der erleichterte Zugang für Unternehmen zum Kurzarbeitergeld beseitigt nicht die großen Herausforderungen unserer Wirtschaft und Gesellschaft, die schon vor der Corona-Pandemie bestanden: Struktureller Wandel, Digitalisierung, demografische Entwicklung und der Klimawandel bringen rasante Veränderungen mit sich. Unsere Gesellschaft braucht Projekte, mit denen wir es schaffen alle mitzunehmen.
Sich immer wieder neue Ziele setzen und zu lernen, ist der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit. Mit dem „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung“ wurden die Instrumente des Arbeitsmarkts auf die Ziele Beschäftigung und Sicherheit für alle Betroffenen ausgerichtet. Dieser zusätzliche Anreiz für die Qualifizierung von Beschäftigten kommt auch den niedersächsischen Zukunftsindustrien zugute – vorausgesetzt, die neuen Fördermöglichkeiten werden noch bekannter gemacht.
Video: Transformationslotsen – „Spezialist*in für digitale Transformation und Veränderungsmanagement“
Fazit: Ziel ist Veränderung der Unternehmenskultur
Das Modell der Transformationslotsen führt Unternehmen der niedersächsischen Industriebranchen zum Erfolg. Durch Change Management entstehen aus der Organisation heraus Veränderer – Leader moderner Prägung, welche ihre Teams in der Produktion zur Veränderung befähigen. Strukturen zu verändern ist der Schlüssel, um die digitale Transformation im Unternehmen voranzutreiben.