Digitalisierung, die Verständnis erzeugt
- Date 21. Juni 2021

Digitalisierung, die Verständnis erzeugt
Hannover. Am 12. Juli werden 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Konzerne VW und Conti, aber vor allem auch von Mittelständlern, ein Zeugnis erhalten, das sie zu „Lotsinnen und Lotsen“ macht. Ab diesem Zeitpunkt verfügen sie offiziell über das Know-how, die Digitalisierung in ihren eigenen Unternehmen voranzubringen und Veränderungen – selbst bei Widerständen – umzusetzen. Die frischgebackenen Transformationslotsen gehören zum zweiten Jahrgang der „Partnerschaft Transformation“, Modellprojekt niedersächsischer Arbeitgeber und Gewerkschaften mit ihren jeweiligen Bildungsträgern.
Bereits die Struktur des seit September 2020 bestehenden Gemeinschaftsprojekts der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN), dem Deutschen Gewerkschaftsbund Niedersachsen (DGB), dem Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) und der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben (AUL) zeigt auf: Digitalisierung gelingt nicht, wenn sie von den Arbeitgebern als einseitiger Change Prozess angestoßen wird. Auch nicht dann, wenn einzelne Prozesse in Produktionsunternehmen, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat, umgestellt werden. Sondern digitaler Strukturwandel entsteht in der Mitte der Belegschaft – durch ein verändertes Denken und Handeln.
Digitalisierung begreifbar machen – und beide Seiten überzeugen
Moritz von Soden, Geschäftsführer des Familienunternehmens Bornemann Gewindetechnik im Süden von Hannover, sagt: „Es ist nicht sinnvoll, auf politischer Ebene fachlich über die Digitalisierung zu diskutieren, wenn wir letzten Endes nicht beide, Beschäftigte und Unternehmensleitung, überzeugen. Das gilt besonders für den durchschnittlichen deutschen Unternehmer und Angestellten: über 55 Jahre und 30 Jahre in einem kleineren oder mittleren Unternehmen (KMU) tätig. Wenn es um den digitalen Strukturwandel geht, nehmen sie eher die Rolle des Bedenkenträgers ein.“ Von Soden ergänzt: „Als diese Menschen jung waren, verstanden sie unter mobil telefonieren: eine Telefonzelle aufzusuchen. Ihnen fehlt das Verständnis für den Nutzen digitaler Prozesse.“
Laut dem Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (Digitalisierung der KMU in Deutschland, 2018) haben 99,6 Prozent aller Unternehmen in Deutschland weniger als 250 Beschäftigte und zählen damit zu den KMU. Auf sie entfallen 55 Prozent aller Arbeitsplätze und knapp 50 Prozent aller Umsätze. Aber nur wenige betrachten den technologischen Wandel als einen Scheidepunkt: hin zu Veränderung statt Stillstand, zu Digitaler Offenheit statt Ablehnung, zu einer Chance statt einer Bedrohung.
Selbst nach dem Digitalisierungsschub, den COVID-19 ausgelöst hat, steigt das Risiko für diese Unternehmen, notwendige Veränderungsprozesse nicht erfolgreich umsetzen und im internationalen Wettbewerb nicht weiter mithalten zu können. Um dem entgegenzuwirken, muss zweierlei ineinandergreifen: Kompetenzaufbau bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Vernetzung auf regionaler Ebene, auch mit der Konkurrenz.
Nach diesen beiden Prinzipien ist das Modellprojekt Transformationslotsen in Niedersachsen aufgebaut – und der Ansatz überzeugte nach und nach große Konzerne wie VW und Conti sowie kleinere und mittlere Unternehmen aus Niedersachsen und vier weiteren Bundesländern zu einer Teilnahme an der Qualifizierung. Sie schickten ihre Mitarbeiter in berufsbegleitende Online-Trainings zu den drei Modulen – „Produktion und Arbeitswelten 4.0“, „Bedarfserfassung, Lernprozessbegleitung, Future Skills“ und „Workshop-Formate und Verbesserungsinitiativen organisieren, moderieren und nachhalten“ – und erhielten lösungsbereite Teams zurück. Wie das funktionierte? Durch die Befähigung, Veränderungen von innen heraus anzuschieben.
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Hier geht es zu weiteren Fakten und Einblicken:
- Lotsen-Logbuch der Transformationslotsen: Detaillierte Berichte aus Sicht der Teilnehmenden
- Factsheet Transformationslotsen mit Überblick zu teilnehmenden Unternehmen und Abläufen
- Sprechen Sie uns gern an, wenn Sie weitere Zitate der teilnehmenden Unternehmen – Volkswagen AG, Peiner Umformtechnik GmbH und Bornemann Gewindetechnik GmbH & Co. KG – nutzen wollen
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Christoph Brünner, Geschäftsführer der Peiner Umformtechnik GmbH aus Südostniedersachsen, beschreibt den Prozess so: „Oft fehlt es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Methoden, Probleme zielgerichtet zu lösen. Lageberichterstattungen zu den vielen täglichen Problemen in der Produktion bringen uns nicht weiter, wir brauchen Handlungsorientierung. Die Qualifizierung von BNW und AUL zu Transformationslotsen ist ein erster Schritt, um selbstständig Lösungen zu erarbeiten. Wenn das viele Beschäftigte machen und ein gemeinsames Verständnis über Ziele entwickeln, bringt uns das einen entscheidenden Schritt voran.“
Starre Strukturen und Abgrenzung bringen nicht weiter
Gleichzeitig erhalten die Transformationslotsen Zugang zu drei sogenannten Kompetenz-Hubs, lernenden Netzwerkstrukturen auf regionaler Ebene zum direkten Erfahrungsaustausch. Christoph Brünner sagt: „Für die neu gewonnen Ansätze, wie wir als KMU unsere Leistungsfähigkeit steigern und unsere IT-Infrastruktur verbessern, wird es nach der Qualifizierung ein Kernteam geben, dessen Mitglieder in diesen Bereichen konkrete Veränderungsaufgaben bekommen. Die Lösungen werden sie selbstständig erarbeiten und umsetzen. Das ist für viele ein Sprung ins kalte Wasser – und der große Fortschritt besteht für uns darin, diesen Sprung jetzt zu wagen. Dafür schätzen wir die Möglichkeit des Austausches in den Hubs mit anderen Mittelständlern, um weiter dazuzulernen und Ansätze aus anderen Branchen übertragen zu können.“
Die Möglichkeit, über den Tellerrand zu schauen, überzeugte auch den Automobilhersteller Volkswagen AG, ab November 2020 am ersten und ab April 2021 am zweiten Durchgang der Qualifizierung Transformations-lotsen teilzunehmen. Andreas Strutz, Leiter Leanakademie Konzern und Leiter Weiterbildung Produktion und Logistik der Marke VW, sagt: „Ich glaube, für eine umfassende Transformation braucht es große Unternehmen wie Volkswagen, Continental, Siemens, Bosch usw. in den Regionen als Unterstützer im KMU-Bereich. Da wir hinsichtlich der Gestaltung eines notwendigen Veränderungsprozesses alle in einem Boot sind, können beide Seiten vom Austausch in den Hubs profitieren. Im Idealfall lernen wir mit- und voneinander und kommen gemeinsam vorwärts. Starre Strukturen und Abgrenzung bringen uns nicht weiter, um in einer schnelllebigen und flexiblen Umwelt dauerhaft bestehen zu können. Selbstbestimmt und partnerschaftlich vernetzt gestalten zu können – das ist es, was wir uns wünschen.“
Fazit
Eine erfolgreiche Transformation ist ohne den Faktor Mensch unmöglich. Mithilfe eigener Transformationslotsen sind Unternehmen in der Lage, Veränderungen und Innovationen aus der Belegschaft heraus voranzubringen. Die Qualifizierung als „Spezialist*in für digitale Transformation und Veränderungsmanagement“ ermöglicht es den Lotsinnen und Lotsen, Prozesse auch nach der Weiterbildung weiterzuentwickeln. Sie übersetzen Branchentrends in ihren Arbeitskontext und sind gleichzeitig Ansprechpartner*innen für die Belegschaft.
Die Teilnahme am Modellprojekt ist förderfähig nach dem Qualifizierungschancengesetz und wird von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, unterstützt. Der dritte Durchgang der Qualifizierung startet am 14. September 2021.
Ihre Interviewpartner im Rahmen der Sozialpartnerschaft:
- Tobias Lohmann, Sprecher der Geschäftsführung des Bildungswerks der Niedersächsischen Wirtschaft
- Maximilian Schmidt, Geschäftsführer der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen
Sprechen Sie uns gern an, wenn Sie den Kontakt zu teilnehmenden Unternehmen – Volkswagen AG, Peiner Umformtechnik GmbH und Bornemann Gewindetechnik GmbH & Co. KG – suchen.
- Factsheet Transformationslotsen
- Lotsen-Logbuch der Transformationslotsen
- Sprechen Sie uns gern an, wenn Sie weitere Zitate der teilnehmenden Unternehmen – Volkswagen AG, Peiner Umformtechnik GmbH und Bornemann Gewindetechnik GmbH & Co. KG – nutzen wollen
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