‘Nach 23 Jahren habe ich endlich einen beruflichen Zugang’
- Date 10. August 2020

‘Nach 23 Jahren habe ich endlich einen beruflichen Zugang'
Teilqualifizierung bietet an- und ungelernten Menschen große Chancen zur Teilhabe an Wirtschaft und Gesellschaft – Erster Jahrgang legt erfolgreich Kammerprüfungen ab
Lüneburg. Fünf Teilnehmende im Alter von 28 bis 54 Jahren haben am 30. Juli während einer Feier im kleinen Kreis ihre Facharbeiterbriefe entgegengekommen. Sie legten erfolgreich die Prüfung vor der IHK Lüneburg-Wolfsburg ab und können sich somit als Fachkraft zum Maschinen- und Anlagenführer bezeichnen. Teilqualifizierung und Abschlussfeier wurden vom Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) gemeinsam mit dem Zeitarbeitsunternehmen Randstad Deutschland GmbH & Co. KG ausgerichtet.
Vor dem Erwerb praxisnaher Kompetenzen während ihrer sogenannten Teilqualifizierung ab Oktober 2018 lag ein steiniger beruflicher Weg hinter den meisten von ihnen: Als an- und ungelernte Mitarbeiter über 25 Jahren ohne eine Ausbildung bzw. einen anderen verwertbaren Berufsabschluss standen ihnen die Türen in die Arbeitswelt kaum offen – und wenn doch, fielen der notwendige Aufstieg und Weiterentwicklung im Unternehmen schwer.
„Seit 23 Jahren, in denen ich nun in Deutschland lebe, suche ich einen Schlüssel, um einen beruflichen Zugang außerhalb der Hilfsarbeit zu bekommen. Diesen habe ich nun mit diesem Abschluss erhalten.“, sagt Hassan Abujaber, Teilnehmer der TQ-Maßnahme beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) in Lüneburg stolz. Im Jahr 2016 erhielt er einen Vertrag beim Zeitarbeitsunternehmen Randstad, welches den ersten Jahrgang erfolgreich geprüften Absolventen aller TQ-Module als großen Meilenstein für die beteiligten Menschen und Unternehmen einstuft: „Wir hatten viele Ideen und Hoffnungen, welche Vorteile das Modulkonzept der Teilqualifizierungen mit sich bringen könnte. Fachkräftemangel, zweite Chance auf dem Bildungsweg, sanfter Einstieg ins Lernen, Personalentwicklung, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit waren nur einige Ansätze, die uns dazu motiviert haben, dieses Projekt gemeinsam mit BNW zu starten. Dass unsere Vorstellungen so positiv eingetroffen sind, haben wir uns gewünscht, aber vorab nicht erwarten können. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten hat schließlich auch zu diesem positiven Ergebnis beigetragen. Neben den gewünschten Erfolgen für uns als Arbeitgeber war die Freude der Teilnehmer über ihren Berufsabschluss aber der größte Erfolg und nachhaltigste Gewinn dieses Projektes“, sagt Julia Othmer, Senior Consultant Arbeitsmarktprojekte bei Randstad Niedersachsen/Bremen.
Sascha Slany, Leitender Kundenmanager in der BNW-Region Heide: „Wir freuen uns, die Chancen von nachqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die regionale Wirtschaft unter Beweis gestellt zu haben. Teilqualifizierungen sind eine zertifizierte und damit sprichwörtlich ausgezeichnete Chance für Erwachsene ohne Ausbildung, einen Berufsabschluss nachzuholen“, erklärt der Projektverantwortliche. Slany weiter: „Der Vorteil für die Betriebe ist, dass die Praxisanteile der Qualifizierung im Unternehmen absolviert werden können. Damit verfügt die regionale Wirtschaft über ein arbeitsplatznahes Instrument betrieblicher Weiterbildung, das darüber hinaus finanziell gefördert werden kann. Die vier Module wurden trotz der durch Corona erschwerten Bedingungen durchgeführt. Teilnehmende und Unternehmen haben die Zeit der Krise somit effektiv für eine praxisnahe Weiterbildung genutzt, die in der Phase wirtschaftlicher Erholung sofort angewendet werden kann.“
Weiter geht es für die angehenden Facharbeiter, Unternehmen, Personaldienstleister und BNW im Winter: Dann wollen die nächsten TQ-Teilnehmer die Prüfungen vor der IHK Lüneburg-Wolfsburg ablegen.
Infokasten „Teilqualifizierung – was verbirgt sich dahinter?“
Grundlage der Teilqualifizierung, kurz TQ, ist ein Baukastenprinzip. Die Bestandteile anerkannter Ausbildungsberufe werden in einzelnen, voneinander unabhängigen Modulen absolviert. Die Theorie gibt es für die Teilnehmer beim BNW – wenn es didaktisch sinnvoll ist, auch vollkommen ortsunabhängig und digital.
Die Praxisblöcke finden in einem oder verschiedenen Unternehmen statt. Vor allem Mitarbeiter ohne, mit fachfremder oder veralteter Ausbildung sowie Migranten, für die es eine TQ-Variante mit berufssprachlichen Anteilen gibt, können sich je nach Beruf in vier bis acht Modulen fachlich fortbilden – und einen Berufsabschluss erwerben. Unternehmen bietet der modulare Aufbau eine größtmögliche Flexibilität. Mitarbeiter können die Module zum Beispiel in weniger arbeitsintensiven Zeiten absolvieren. Auch Job-Sharing bzw. Tandemmodelle sind möglich, um den Ausfall von Mitarbeitern zu kompensieren. Für Unternehmen ist das ein Weg, um Mitarbeiter mit geringeren Qualifikationen fachlich fit zu machen – und sie künftig als kompetente Mitarbeiter flexibler einsetzen zu können.
Das BNW ist Umsetzungspartner, kennt die Fördermöglichkeiten, kümmert sich bei Bedarf um weitere Teilnehmer oder Kooperationspartner und begleitet Teilnehmer wie Unternehmen in Theorie- und Praxisphasen. In der BNW-Region Heide, die sich von Helmstedt im Süden bis vor die Tore Hamburgs im Norden erstreckt, werden zurzeit 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Randstad in laufenden TQ-Maßnahmen geschult.
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